Der Mensch braucht den Menschen

 19,80

( )

Inhalt: 1,00 Stk

Demnächst wieder verfügbar.
Artikelnummer: KLZ-105660

Beschreibung

Der Mensch braucht den Menschen – Gedanken über Leben und Abschied.

Ein Schuhkarton voller Erinnerungen. Augen, die trotz Krankheit wieder zu leuchten beginnen. Das Leben hat viele Facetten. In diesem Buch werden sie beschrieben – von HospizmitarbeiterInnen, die auf schweren Wegstrecken Hoffnung, Kraft, Zeit schenken. Und von den Autoren Marlene Streeruwitz, Barbara Frischmuth, Valerie Fritsch, Arno Geiger, Gerhard Roth, Josef Winkler.

„… wenn ich höre, dieser langsame Verfall ist unwürdig, kommt es mir vor, als hätte ich mir das Gehirn verstaucht. Wovon reden sie? Wie kann einem ein solch eklatanter Denkfehler unterlaufen?“
Arno Geiger

Leseprobe Valerie Fritsch

… Bevor man traurig werden darf, wird man pragmatisch. Irgendwann bleiben die Jahre, in denen niemand stirbt, aus, irgendwann sind Beerdigungsbesuche nicht mehr neu, aber regelmäßige Aufgabe jedes gewöhnlichen Erwachsenen und jedes traurigen Kindes. Irgendwann ist man alt genug, sich einen Begräbnismantel zu kaufen, schwarze enge Schuhe und Taschentücher. Irgendwann ist man alt genug für den unaufhörlichen, fremden Tod, für die Wahl von Kranz, Sarg, Urne, weint, wählt, entscheidet über die Form der Trauer und über die Form des Toten selbst. Denn was kann man nicht alles mit ihnen machen, sie eingraben oder verbrennen, plastinieren oder kryonisch einfrieren, ihre Körper in Seemannsbestattungen vom Meer davontragen lassen oder den Anatomisten in weißen Kitteln spenden, ihre Asche zu einem Diamanten pressen und als Schmuckstück am Finger mit sich tragen oder sie mit einer Trägerrakete fortschießen in den Weltraum. Für ein bisschen Geld reisen sieben Gramm des Verstorbenen in einer Mikrokapsel in die Erdumlaufbahn, umrunden die Welt, verglühen, wenn sie wieder in die Atmosphäre eintreten. Schickt man sie aber ins All, treiben die Kapseln ewig zwischen dunklen Sternen, Astronauten aus Staub en miniature.

Dann kommt die Traurigkeit. Die Liebe will ja immer lieben und der Tod steht dem so unhöflich gegenüber. Er bricht das Kontinuum und die Gewohnheit, dass alles wiederholbar ist. Er belehrt uns, dass es bei Menschen und ihrem Verlust nicht um Beliebigkeit, aber um Einzigartigkeit geht.

Jeder Abschied ist unumkehrbar. Jeder Tote unersetzlich. Trauer ist etwas Wildes, so gewaltig und neu, wie man es sich nie hätte vorstellen können, bis sie einen von innen befällt. Und kann schön werden, wenn es einem gelingt, den Toten in sich selbst zu implementieren, zum Erinnern und für alle Geheimnisse, wenn man seine Körperlosigkeit irgendwann dazu nutzt, ihn stets verfügbar mit sich zu führen, als hätte man die Großmutter ständig an einem unsichtbaren Telefon im Kopf. Das ist der nächste Zaubertrick. Für den man bloß lieben muss.

Auszug aus: Valerie Fritsch: Der Tote ist ein unsichtbares Telefon. In: Der Mensch braucht den Menschen

Entdecken Sie bei uns mehr Bücher vom Kleine Zeitung Edition